Eppertshausen: Happy End nach “Zwangsinklusion”

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Nach langem, hartem Kampf der Familie: Der elfjährige Eppertshäuser Simon Feiler darf nach einem schwierigen Jahr auf der Regelschule im zweiten Anlauf nun doch auf die heilpädagogische Lukas-Schule in Mühltal gehen. (Foto: Nadine Feiler)

2018 wurde beim jungen Eppertshäuser Simon Feiler Asperger-Autismus diagnostiziert. „Das ist die ,unsichtbare’ Form des Autismus“, sagt seine Mutter Nadine Feiler, „denn mit viel Übung und in entspannter Atmosphäre sieht man diesen Menschen ihren Autismus nicht an“. Entspannt ging es beim Elfjährigen und seiner vierköpfigen Familie, der auch seine achtjährige Schwester angehört, allerdings länger nicht mehr zu: Das vergangene Schuljahr war für Simon das bisher schwerste seines Lebens und verlangte auch seinem Umfeld große Opfer ab. Nach langem, hartem Kampf gegen die (O-Ton seiner Mutter) „Zwangsinklusion“ in der Regelschule kommt es mit Beginn des neuen Schuljahrs nächsten Montag doch noch zum Happy End: Das Kind aus Eppertshausen darf auf jene Förderschule gehen, die sich seine Eltern für ihn bereits ein Jahr früher wünschten.

Seine Grundschulzeit verbrachte Simon an der Eppertshäuser Stephan-Gruber-Schule, einer Regelschule. Dies funktionierte noch relativ gut, auch dank des Anrechts auf Nachteilsausgleiche und einer Schulbegleitung. Schon in der vierten Klasse spürten der Schüler und seine Eltern aber den gestiegenen Leistungsdruck, häuften sich die Probleme. So schaffte es Simon nicht mehr, seine Hausaufgaben zu machen. „Nach der Schule war er so fertig, dass ich ihn nicht mehr dazu bringen konnte, ohne einen Wutanfall zu provozieren“, erzählt seine Mutter.

Abstrakte Beeinträchtigung

Um das nachvollziehen zu können, müsse man ein bisschen was über Asperger-Autismus wissen, ergänzt Nadine Feiler. „Menschen wie Simon leben in einer von Umwelteinflüssen ungefilterten Welt und sehen sich somit nonstop einem unglaublich hohen Stresspegel ausgesetzt.“ Zudem sei es ihnen „nur durch sehr viel Übung möglich, sich in einer sozial geprägten Welt ,normal’ zu verhalten“. Wer nicht betroffen sei, könne sich „kaum vorstellen, welch bedrohlicher und anstrengender Alltag draußen auf einen Autisten wartet“. Anders als etwa bei einem Rollstuhlfahrer sei die Beeinträchtigung zudem nicht gleich sichtbar – und damit erstmal abstrakt.

Dank seiner Intelligenz konnte Simon den Grundschulstoff noch anwenden, doch auf der weiterführenden (Regel-)Schule – in seinem Fall die Schule auf der Aue in Münster – befürchteten seine Eltern in diverser Hinsicht eine Überforderung. Mehrere Monate vor Start des Schuljahrs 2022/23, das für ihren Sohn mit der fünften Klasse und dem Schulwechsel einherging, setzte sich der Förderausschuss der Aue-Schule gegen die Stimme der Eltern aber für eine Inklusion Simons ein. Der Fall landete beim Staatlichen Schulamt Darmstadt, das der Ausschussmehrheit folgte. Also wechselte Simon nach Münster statt an die von den Eltern präferierte Lukas-Schule in Mühltal, einer heilpädagogischen Waldorf-Schule mit den Förderschwerpunkten Lernen und sozial-emotionale Entwicklung.

An der Aue-Schule trat ein, was die Eltern prophezeit hatten. „Alle Lehrer waren bemüht“, sagt Nadine Feiler zwar. „Es fehlte ihnen aber an Fachwissen.“ Die Unterrichtsmaterialien seien nicht für Simon angepasst gewesen, „er sollte sich in Dialogen zum Beispiel in andere Personen hineinversetzen, was er aber nicht kann“. Auch Ballspiele und Musik in der Sporthalle seien für ihn „ein totaler Overkill an Reizen“ gewesen. Was seine Mutter hautnah miterlebte, da sie Simon mangels verfügbarer Schulbegleitung wochenlang selbst vor Ort unterstützte (und als selbstständige Illustratorin dadurch auch beruflich mit ihrer Zeit jonglieren und zusätzlichen Stress verkraften musste).

Recht auf Bildung verwehrt

Die Strapazen für den Schüler wurden schließlich so immens, dass er ab den Herbstferien gar nicht mehr zur Schule gehen konnte. Da Home-Schooling mit einem autistischen Kind nicht klappe, sei Simon praktisch „das Recht auf Bildung verwehrt worden“. Das vergangene Schuljahr sei für alle Betroffenen „fast unmenschlich“ gewesen, sagt Nadine Feiler, „durch all das wurden wir als Familie ein Jahr lang aus dem Leben geschmissen“.

In einer erneuten Sitzung änderte dann auch der Förderausschuss seine Meinung: Fürs Schuljahr 2023/24 empfahl er die Inklusion an der Aue-Schule nicht mehr. Jetzt darf Simon auf die Lukas-Schule gehen, „dort ist man pädagogisch auch auf autistische Kinder vorbereitet“. Der Familie gebe das „jetzt viel Energie und einen neuen Schub“. Erste Gespräche mit der neuen Schule hätten bereits vielversprechende Ansätze aufgezeigt.
Bei all dem ist Nadine Feiler zu betonen wichtig: „Wir sind absolut pro Inklusion. Vorher muss für die Leute, die eine Behinderung haben, aber noch viel passieren. Wenn die Bedingungen oder die Kinder selbst noch nicht so weit sind, muss man sie einfach auf eine Förderschule geben. Ein Kind darf nicht zum Spielball oder gar zum Quotenkind der Inklusion werden!“

(Text: PM jedö)