Bergsträßer Akkordeon-Eleven und Pariser Künstlerin in Viernheim
Glänzende Augen und rauschender Applaus für die schönsten Melodien und Klänge, die kleine und große Musiker ihren Zuhörern bescherten. Beim alljährlichen Vorspiel im rustikal-stimmungsvollen Vortrags-Saal der Viernheimer Freizeit- und Bildungsstätte „Treff im Bahnhof“ (TIB) zeigten Akkordeon-Schüler der Städtischen Musikschulen Viernheim und Heppenheim, was sie gelernt hatten. Schon die Jüngsten beherrschten ihr Instrument beidhändig und bewiesen, dass schon das kleinste Liedchen auf dem Akkordeon wunderschön klingen kann. Die Älteren spielten anspruchsvollere Weltmusik und klassische Stücke, u. a. auf dem chromatischen Melodiebass-Akkordeon.
Akkordeon-Lehrer Eduard Ungefucht hatte nicht nur seine Zöglinge hervorragend für ihre Auftritte vorbereitet, sondern zur Krönung des Events die international prämiierte klassische Akkordeon-Virtuosin Sophie Herzog zu einem Solo-Konzert im Anschluss an die Schülervorspiele eingeladen. Der beeindruckende einstündige Auftritt der jungen Künstlerin aus Paris verwandelte die Veranstaltung in eine umfassende hochkarätige Akkordeon- Konzert-Darbietung, die sowohl musikalisch wie auch pädagogisch einen großen Bogen von allerersten Tastenübungen bis hin zur künstlerischen Selbstverwirklichung umschrieb.
Nach Begrüßung und kurzer Einführung in Wissenswertes über das vielseitige Balg-Instrument mit Tasten und Knöpfen begannen die Solo-Vorträge der Schüler, altersmäßig und vom Schwierigkeitsgrad her in aufsteigender Folge.
Den Anfang machte die siebenjährige Elinor Amthor mit „Tasten-Rock“ von J. Schmieder. Für Elinor eine echte Mutprobe, war es doch ihr allererster öffentlicher Auftritt, den sie aber trotz Lampenfieber wie erwartet bravourös meisterte. Es folgten Jule Bommes mit „Vieni sulla Barchetta“ (Trad.) und „Galopp“ (J. Offenbach), Nuria Freudenberger mit dem Lied „Down by the Riverside“ und einem kleinen „Tasten-Slalom“. Zur Freude der anwesenden Eltern und Akkordeon-Freunde ließen auch die nächsten jungen Tastenkünstler – Louis Pahlke, Marco Lalli, Samuel Freudenberger, David Hering, Daniel Peters, Arthur Hornig, Liam Zuchovski, Jonah Brandwein, Anton Schmenger, Pascal Herzog und Marlon Feder – ihre sorgsam einstudierten Lieder und Vortragsstücke hören, die letztgenannten bereits auf fortgeschrittenem Niveau. Besondere Beachtung fand die delikate Interpretation der russischen Volksweise vom „Kleinen Ackerstreifen“ (Arr. I. J. Panitzki) durch Pascal Herzog, der das facettenreiche Stück mit osteuropäischen Flair und wechselnden Stimmungen überzeugend vorzutragen wusste.
Nach kurzer Umbau-Pause präsentierte das Schüler-Ensemble mit Pascal Herzog am E-Bass-und Cajun-Begleitung sowie Rezitation eines romantischen Gedichts durch Jonah Brandwein vier Parade-Stücke aus seinem aktuellen Repertoire: „Winterdämmerung“ von A. Sudarikov, „Arioso“ von Terzibaschitsch, „Karneval in Rio“ ebenfalls von Terzibaschitsch und als Zugabe das allseits beliebte „Blue Canary“ von Fiorino. Alle Kompositionen waren speziell für Ensemble arrangiert von Eduard Ungefucht, der es sich nicht nehmen ließ, voll Freude mit zu musizieren. Die muntere Truppe tritt seit mehreren Jahren zusammen auf. Dabei wachsen und entwickeln sich individuelle Fähigkeiten auf unterschiedlichsten human bedeutsamen Ebenen.
Auch für die professionelle Akkordeonistin Sophie Herzog hatte einst der Weg in die Welt der Musik mit Akkordeon-Unterricht begonnen. Heute, mit nur 24 Jahren, zählt sie zu den vielversprechendsten jungen Künstlerinnen der internationalen klassischen Musikszene.
In ihrem Konzert bot sie mit einer Auswahl von Stücken aus ihrer neu gegründeten Konzertreihe „UNGEHÖRT“ fast ausnahmslos Transskriptionen von Musik klassischer Meister, die noch nie zuvor auf dem Akkordeon gespielt wurden, und zwar in höchst eigenwilliger persönlicher Interpretation.
Für ihre Viernheimer Zuhörerschaft brachte sie folgende Werke zu Gehör: 1. Ludwig van Beethoven (1770-1827), Klaviersonate Nr. 20 G-Dur, Op. 49 Nr. 2 (Allegro ma non troppo, Tempo di Menuetto), wobei sie anmerkte, dass sie wahrscheinlich die erste klassische Akkordeonistin ist, die überhaupt eine Klaviersonate Beethovens auf diesem Instrument spielt. 2. Georg Friedrich Händel (1685-1759), Suite Nr. 8 f-Moll, HWV 433 (Prélude, Allegro, Allemande, Courante, Gigue). Auch für die acht großen Cembalo-Suiten von Händel gilt, dass Sophie Herzog eine der ersten ist, die eine seiner Suiten spielen. Diese Suiten gelten als sein anspruchsvollstes Werk für Cembalisten. 3. Dmitri Schostakowitsch (1906-1975), Präludium und Fuge Nr. 2 a-Moll, Op. 87, sehr virtuos und verspielt, gleichzeitig aber unglaublich seriös in seiner Gesamtwirkung. 4. Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791), Fantasia Nr. 4 c-Moll, K. 475, ein großes und viel gespieltes Werk der Klavierliteratur. 5. Jean-Philippe Rameau (1683-1764), Le Rappel des Oiseaux, ein feines Kabinettstück des Komponisten und Kunstgenuss nicht nur für Vogelfreunde, ist außerhalb der o.g. Konzertreihe angesiedelt. Nach anhaltendem Beifall gab es als Zugabe von György Ligeti (1923-2006) aus Musica Ricercata VII. Cantabile, molto legato.
Die Zuhörerschaft war von der unerwartet hochkarätigen Konzertdarbietung der jungen Künstlerin tief beeindruckt, ja geradezu geflasht. Sophie Herzogs technische Brillanz, gepaart mit dem außerordentlichen Ausdruck von Wildheit und Opulenz, aber auch Zärtlichkeit und Nachdenklichkeit erscheinen neu und unverwechselbar in der Szene klassischer zeitgenössischer Akkordeonisten. Zwar mag der intellektuelle Anspruch Herzogs Darbietung den einen oder anderen musikalischen Laien im Saal ein wenig überfordert haben – insgesamt warf die Veranstaltung ein Schlaglicht auf qualitativ hochwertige Akkordeonmusik heute.
Text und Fotos: Ortrun Wagner
Weitere Info: Eduard Ungefucht Tel. 0172 9502273 E-Mail: e.ungefucht@gmx.de