SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil über stabile Rente, mehr Wachstum, Nachholbedarf und Ehrlichkeit
Am 23. Februar wird der Bundestag gewählt; viele Bürger haben bereits ihre Briefwahlunterlagen bekommen. SPD-Vorsitzender Lars Klingbeil beantwortet Fragen von Johannes Beetz und legt dar, welche Weichen er stellen will:
“Unsere Prioritäten sind klar”
Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen – z.B. Sanierung der Infrastruktur, Erhöhung der Verteidigungsausgaben, Anpassung an den Klimawandel. Dafür werden wir Unsummen von Geld in die Hand nehmen müssen. Viele Menschen sorgen sich, dass dies nur mit Einschnitten auf der sozialen Seite zu machen ist. Welche Prioritäten setzen Sie? Wofür müssen wir mehr Geld ausgeben, wofür weniger?
Lars Klingbeil: Um es klar zu sagen: Deutschland steht vor großen Herausforderungen, aber die Probleme in unserem Land sind lösbar. Unsere Prioritäten sind klar: In Deutschland muss mehr in Bildung, Infrastruktur und die Wirtschaft investiert werden. Die Menschen brauchen nach Jahren hoher Inflation mehr Geld in der Tasche. Deshalb senken wir die Einkommenssteuern für 95 Prozent der Menschen, senken die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel und wollen den Mindestlohn auf 15 Euro erhöhen. Unser Land muss zusammenrücken. Das heißt für mich auch, dass diejenigen, die am meisten verdienen oder Vermögen in Milliardenhöhe haben, mehr zur Finanzierung beitragen müssen. Wir werden nicht zulassen, dass Investitionen in die Wirtschaft gegen eine stabile Rente oder einen starken Sozialstaat ausgespielt werden. Mit uns gibt es eine solche Entweder-Oder-Politik nicht.
“Wir müssen hier Naivität ablegen”
Die deutsche Wirtschaft erlebt das dritte Rezessionsjahr in Folge. Das gab es noch nie. Was haben wir falsch gemacht? Und wie wollen Sie wieder auf einen Wachstumskurs zurückfinden?
Lars Klingbeil: Der Schlüssel zu mehr Wachstum sind mehr Investitionen. Da sind sich selbst Gewerkschaften und große Industrieverbände einig. Deutschlands Wirtschaft muss sich überhaupt nicht verstecken, aber wir stehen in einem gewaltigen Wettbewerb mit den USA und China. Die haben unsere Stärken sehr genau studiert und wollen uns zum Beispiel im Automobilbereich den Rang ablaufen. Wir müssen hier Naivität ablegen und Made in Germany wieder stark machen. Wir haben dafür einen Deutschlandfonds vorgeschlagen, der private und staatliche Investitionen gemeinsam fördern soll. Außerdem wollen wir Unternehmen ganz unbürokratisch einen Steuerbonus geben, wenn sie hier vor Ort investieren. Wir nennen das den „Made in Germany“-Bonus. Das zusammen setzt Wachstum und neue Kräfte frei.
“Wir wollen eine solidarische Bürgerversicherung einführen”
Wie haben eines der besten Gesundheitssystem der Welt. Doch auch bei uns wartet man inzwischen oft lange auf Arzttermine. Vorhandene Intensivbetten in Kliniken können nicht genutzt werden, weil Pflegekräfte fehlen. Warum sind wir nicht mehr in der Lage, zentrale Dinge der Daseinsvorsorge aufrechtzuerhalten – und was bräuchten wir, um das zu ändern?
Lars Klingbeil: Wir müssen als ersten Schritt dringend die Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern: bessere Löhne, planbare Arbeitszeiten, mehr Ausbildungs- und Weiterbildungsmöglichkeiten. Gleichzeitig brauchen wir weniger Bürokratie, eine konsequente Digitalisierung und eine Termingarantie für gesetzlich Versicherte. Gesundheitsminister Karl Lauterbach hat hier schon wichtige Reformen auf den Weg gebracht. Damit die Versorgung für alle gesichert bleibt, wollen wir eine solidarische Bürgerversicherung einführen, in die alle einzahlen. So schaffen wir ein gerechtes Gesundheitswesen, das auch auf die Menschen schaut, die es am Laufen halten.
“Leistung und Arbeit müssen sich für alle lohnen”
Die CSU will das Bürgergeld abschaffen, damit sich Leistung lohnt. Die Unterstützung Schwächerer hat unserem Land stets gut getan. Auf der anderen Seite müssen auch die, die dies mit ihrer Arbeit möglich machen, für sich und ihre Familien tragfähige wirtschaftliche Perspektiven haben. Jeder will ja, dass es seinen Kinder mal besser geht. Wie bringen Sie beides unter einen Hut?
Lars Klingbeil: Leistung und Arbeit müssen sich für alle lohnen. Deshalb sind wir dafür, dass der Mindestlohn so schnell wie möglich auf 15 Euro steigt. Davon würden fast 7 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sofort profitieren. Das ist für mich der wichtigste Schritt. Wer arbeitslos ist, muss Möglichkeiten bekommen, sich zu qualifizieren, um schnellstmöglich wieder einen Job zu finden. Das hat für uns Vorrang. Die CSU führt eine Neiddebatte beim Bürgergeld, sie will vor allem den Namen ändern. Das ist purer Populismus. Denn unter das gerichtlich festgestellte Existenzminimum kann auch die CSU nicht gehen.
“Die gesetzliche Rente bleibt das Fundament”
Die Rentenversicherung rät den Bürgern zu privater Altersvorsorge. Nehmen Sie es hin, dass die gesetzliche Rente nicht mehr ausreichen wird, um Menschen vor Altersarmut zu bewahren? Ist für die SPD die z.B. vom VdK vorgeschlagene „Rente für alle“ eine Lösung?
Lars Klingbeil: Wenn wir nicht handeln, läuft das garantierte Rentenniveau zum 30. Juni 2025 aus. Unser Gesetz für eine stabile Rente kann innerhalb von 100 Tagen verabschiedet werden. Zuletzt hatte das die FDP verhindert. Aktuell blockiert die CDU, die offenbar bereit ist faktische Rentenkürzungen in Kauf zu nehmen. Ein dauerhaft garantiertes Rentenniveau für alle Generationen ist wichtig, sonst stürzt das Rentenniveau sukzessive ab. Das geht nicht. Ich bin dafür, private Vorsorgemöglichkeiten auszuweiten und attraktiver zu machen, aber die gesetzliche Rente für alle, die lange und hart gearbeitet haben, bleibt das Fundament. Die SPD ist derzeit die einzige der großen Parteien, die das so klar und eindeutig vertritt.
“Die Asylzahlen noch weiter runterbringen”
Das Recht auf Asyl ist bei uns aus gutem Grund ein hohes Gut. Die Attentate u.a. in Magdeburg und Aschaffenburg haben nun die Migrationsdebatte verschärft. Warum gelingt es nicht, ausreisepflichtige Menschen abzuschieben? Wie sorgen wir für mehr Sicherheit für die Bürger?
Lars Klingbeil: Die schrecklichen Taten von Magdeburg und Aschaffenburg haben mich tief getroffen. Unschuldige Menschen wurden brutal ermordet, Familien wurden zerstört. Die Wut und die Trauer über diese Taten sitzt wahnsinnig tief. Was der Sicherheit in unserem Land dient, muss getan werden. Wir müssen bei aller verständlichen Wut aber ehrlich sein. Die Täter von Magdeburg und Aschaffenburg hätten schon mit der geltenden Rechtslage nicht mehr im Land oder auf freiem Fuß sein dürfen. Unsere eigenen Regeln müssen von den Behörden endlich hart durchgesetzt werden. Das ist mühsam, aber es ist notwendig. Dazu ist es wichtig, dass wir die gesunkenen Asylzahlen noch weiter runterbringen, um Menschen, die in Not zu uns flüchten, dann auch wirklich helfen zu können.
“Klimaschutz muss für alle bezahlbar sein”
Der Klimawandel trifft uns in allen Lebensbereichen; der Ausbau erneuerbarer Energien macht teils große Fortschritte, teils stockt er – etwa bei der E-Mobilität. Vor allem aber wird Energie teurer. Wie wollen Sie mehr Klimaschutz hinbekommen, wenn die Energiekosten immer mehr vom Budget der Bürger verschlingen?
Lars Klingbeil: Steigende Energiekosten dürfen nicht die Bürgerinnen und Bürger überfordern. Genau deshalb setzen wir auf bezahlbare erneuerbare Energien und einen gezielten Ausbau von Stromnetzen, damit günstiger Strom auch dort ankommt, wo er gebraucht wird. Gleichzeitig fördern wir klimafreundliche Mobilität mit Investitionen in den ÖPNV und einer besseren Ladeinfrastruktur für E-Autos. Unser Ziel ist klar: Klimaschutz muss für alle bezahlbar sein und nicht nur für Leute mit guten Einkommen oder diejenigen, die in der Stadt leben.
“Jetzt ist die Zeit für eine andere Finanzpolitik”
Die Schuldenbremse verhindert, dass wir nötige Investitionen tätigen. Wie wollen Sie die Bremse an die aktuellen Herausforderungen anpassen? Schuldenberge anhäufen, die nachfolgende Generationen abtragen müssen, kann ja auch keiner wollen.
Lars Klingbeil: Es kann aber auch niemand wollen, dass wir uns für den niedrigsten Schuldenstand aller großen Industrienationen auf die Schulter klopfen, während unsere Bahn, Schulen und Wirtschaft den Anschluss verlieren. Ich bin für eine Schuldenbremse, aber sie muss so ausgestaltet sein, dass wir endlich wieder deutlich mehr in die Zukunft investieren können. Es spürt doch jeder, der Bahn fährt oder Kinder in der Schule hat, dass wir Nachholbedarf haben, der sich über Jahrzehnte aufgebaut hat. Der Markt wird das nicht für uns regeln. Jetzt ist die Zeit für eine andere Finanzpolitik, von der unser Land die kommenden Jahre und Jahrzehnte profitiert. Das zahlt sich am Ende doppelt und dreifach für uns aus.
“Politik für die breite Mitte”
Die Ampel hat nicht einmal eine Standard-Legislaturperiode gehalten. Wie wollen Sie das Vertrauen der Menschen in die Fähigkeit der SPD, ihre Probleme anzugehen, wiedergewinnen?
Lars Klingbeil: Dreierkonstellationen sind eine Herausforderung. Das hat man gerade in der Endphase der Ampel deutlich gemerkt. Kanzler Olaf Scholz hat alles getan, um immer wieder Lösungen mit Grünen und FDP zu finden. Aber die FDP wollte nicht, sie hat gezielt an einem Bruch gearbeitet. Jetzt geht es darum, wie es nach dem 23. Februar weitergeht. Ich bin überzeugt: Wer einen Kanzler möchte, der auch in Krisen Staatsmann ist; wer ein Land möchte, in dem die Mittelschicht und Familien gestärkt werden; wer ein Land möchte, in dem Arbeitsplätze geschützt werden und die Rente stabil bleibt, der muss sein Kreuz bei uns machen. Diese Politik für die breite Mitte in unserem Land gibt es nicht mit der CDU, nicht mit den Grünen, sondern nur mit der SPD.
“Wir stehen fest an der Seite der Ukrainer”
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine hat die Friedensordnung, auf die wir uns verlassen haben, hinweggefegt. Die SPD ist zögerlicher und zurückhaltender bei der militärischen Unterstützung der Ukraine als andere. Diese Zurückhaltung hat die stetige Eskalation des Krieges durch Russland nicht verhindert. In Putins Augen ist der Westen längst Kriegspartei. Wie wichtig ist die Ukraine für unsere eigene Sicherheit? Wie soll es mit unserer Unterstützung der Ukraine und unserem Verhältnis zu Russland weitergehen?
Lars Klingbeil: Deutschland ist unter Führung der SPD nach den USA der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine. Wir stehen fest an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer in ihrem Kampf gegen die russische Aggression. Das ist auch in unserem eigenen Sicherheitsinteresse. Putin ist bisher mit seinem Plan, die Ukraine zu erobern und Europa zu destabilisieren, komplett gescheitert. Der Bundeskanzler hat in den vergangenen Wochen sowohl mit Trump als auch mit Putin telefoniert. Es ist wichtig, dass wir unseren Einfluss geltend machen, um zu einem gerechten Frieden zu kommen. Es darf keine Lösungen über die Köpfe der Ukraine hinweg geben.
“Europa ist nicht machtlos”
Die „sozialen“ Medien haben – noch einmal angefeuert durch Trump und Oligarchen wie Elon Musk – nicht nur den Ton unserer Diskussionen verschärft. Ganz offen werden dort Lügen verbreitet, Menschen diffamiert und unsere Demokratie angegriffen. Ist es nicht längst an der Zeit für Restriktionen, um uns und unsere Werte zu schützen?
Lars Klingbeil: Elon Musk hat Twitter gekauft, um weltweit Einfluss zu nehmen und rechte Parteien wie die AfD zu unterstützen. Das wird immer deutlicher. Was auf seiner Plattform X ohne Konsequenzen für Schrott und Hetze verbreitet wird, ist mit meiner Vorstellung von einem sozialen Netzwerk kaum noch vereinbar. Die Macht der US-Konzerne ist gewaltig, aber Europa ist nicht machtlos. Im Gegenteil. Wir bestimmen die Spielregeln und wer sie verletzt, muss Konsequenzen spüren. Ich wünsche mir hier eine viel selbstbewusstere Europäische Kommission.
“Bildung darf keine Frage des Glücks sein”
Wir haben die Corona-Pandemie in vielen Punkten sehr gut gemeistert – es wurden schlicht viele Menschenleben gerettet. Im Bildungsbereich hat Corona aber erhebliche Spuren hinterlassen; die Lücken, die damals bei Schülern entstanden sind, konnten nie mehr richtig geschlossen werden. Unser Schulsystem ist ohnehin nicht in bestem Zustand – Schulen sind marode, Lehrer überlastet, Unterricht fällt aus. Wie wollen Sie für unsere Kinder nachhaltige Lernbedingungen schaffen?
Lars Klingbeil: Gute Bildung darf keine Frage des Glücks sein, sie muss für alle funktionieren. Wir sind hier in Deutschland immer noch so aufgestellt, dass es überall im Land gute Schulen gibt und man nicht wie in anderen Ländern auf Privatschulen ausweichen muss, die sich kaum jemand leisten kann. Am Anfang steht für mich guter, verlässlicher Unterricht. Wir brauchen deshalb eine echte Fachkräfteoffensive für Kitas und Schulen: mit besseren Arbeitsbedingungen, fairer Bezahlung und – wo es Sinn macht – auch mehr Quereinsteigern. Als zweiten Schritt müssen wir den Sanierungsstau abbauen. Das muss bei den Investitionen der kommenden vier Jahre Priorität haben.
(Interview: Johannes Beetz)