19 „Stolpersteine gegen das Vergessen“ in Münster und Altheim

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ine Arbeitsgruppe (hier sechs der zehn Beteiligten an der Gedenktafel für jüdische NS-Opfer am Münsterer Storchenschulhaus) hat die Schicksale von 19 vertriebenen, deportierten oder ermordeten Münsterern und Altheimern recherchiert. Am 6. April werden an acht Adressen 19 „Stolpersteine gegen das Vergessen“ verlegt. (Foto: jedö)

Was haben die Borngasse 2 und die Dammstraße 28 in Münster mit der Hauptstraße 4 in Altheim gemeinsam? Antwort: Sie sind unter den sechs Münsterer und zwei Altheimer Adressen, wo bis in die 30er- und 40er-Jahre hinein (noch unter anderen Hausnummern) Menschen wohnten, die ins Visier der Nationalsozialisten gerieten. Einigen gelang die Flucht ins Ausland, andere wurden deportiert – und manche im Konzentrationslager ermordet.

Wie das wohl schlimmste Regime der Weltgeschichte vor 80, 90 Jahren auch diversen Münsterern und Altheimern die Heimat und mitunter das Leben nahm, recherchieren seit einem Jahr sechs Männer und vier Frauen aus der Gemeinde. In einer Arbeitsgruppe vereinigt haben sich zu diesem Zweck Ernst-Peter Winter, Edmund Galli, Gerald Frank, Gerhard Bonifer-Dörr, Peter Hartmann, Frank Henkelmann, Silvana Kamutzki, Alexandra Henkelmann, Patricia Bombala und Rosi Haus. Die Resultate, die sie bislang zusammengetragen haben, werden demnächst in besonderer Form auch im Ortsbild sichtbar: Am 6. April ab 10 Uhr – zunächst an den beiden Standorten im Ortsteil, ab 11 Uhr dann in Münster – verlegt Künstler Gunter Demnig 19 sogenannte „Stolpersteine gegen das Vergessen“, die fortan an ebenso viele vertriebene oder verschleppte frühere Einwohner erinnern sollen.

Demnig hat die entsprechende Idee vor mehr als drei Jahrzehnten entwickelt und seither umfassend umgesetzt. Seit 1992 hat der in Hessen lebende Kreative (inzwischen in Zusammenarbeit mit drei weiteren Bildhauern) mehr als 100 000 Exemplare angefertigt und weltweit verlegt. Allen Standorten gemein: Auf den Steinen stehen die Namen von NS-Opfern, vor deren letzter Wohnstätte sie platziert werden. Damit rufen die Steine die Schicksale dieser Menschen bei Passanten visuell und gedanklich in Erinnerung. Dabei geht es um alle von den Nazis verfolgten Menschen – neben Juden beispielsweise um Zeugen Jehovas, Zwangsarbeiter, angebliche Geisteskranke, Sinti, Roma und Homosexuelle.

Den Vorstoß, ein solches Gedenken acht Dekaden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der NS-Diktatur auch in Münster umzusetzen, hatte Ende 2023 die FDP-Fraktion in der Gemeindevertretung gemacht. Fraktionschef Jörg Schroeter hatte es damals als „erstaunlich“ bezeichnet, dass sich Münster (anders als rund 150 Kommunen allein in Hessen, darunter zum Beispiel das benachbarte Dieburg) an dieser „guten Initiative“ noch nicht beteiligt habe. Vor etwas mehr als einem Jahr stand Schroeter dabei auch unter dem Eindruck der „verstörenden und antisemitischen Reaktionen in Deutschland und der Welt auf den unvorstellbaren Überfall palästinensischer Terroristen“. Manche Äußerungen hätten „Defizite im Geschichtsbewusstsein“ offenbart, besonders hinsichtlich der Schoa. Bis heute würden in Deutschland Juden „ausgegrenzt, verachtet und angegriffen“.

Auch dem setzen die Stolpersteine etwas entgegen. Bezahlt werden sie in Münster trotz eines Beschlusses des Lokalparlaments über Spenden statt Steuergeld. Ein Stein kostet rund 130 Euro; noch sind nicht alle Exemplare finanziert (Kontakt: <ag-stolpersteine@muenster-hessen.de>). Verlegt werden sie im April aber allesamt definitiv, eingeleitet von einem Vortrag Demnigs am 5. April um 18 Uhr im Münsterer Rathaus. „Das Projekt soll mit den 19 Steinen aber nicht abgeschlossen sein“, betont Silvana Kamutzki, die eine der treibenden Kräfte der AG ist. Ebenso wie der durch 50 Jahre Familienforschung bewanderte Ernst-Peter Winter, der den anderen Beteiligten bei der Informationssuche dadurch großen Respekt abnötigte, dass er sich tief in die Archive vergrub.

Alle Ergebnisse in diesem Artikel darzustellen, würde den Rahmen sprengen. Exemplarisch angeführt sei das Schicksal der Münsterer Familie Vogel, die in der heutigen Schulstraße 16 (damals Nummer 13) wohnte. Die jüdische Familie hatte in Münster den Rufnamen „Mordsche“ und lebte mit drei Generationen im Haus.

Großmutter Elka Schiff starb 1939 eines natürlichen Tods und wurde auf dem Jüdischen Friedhof in Frankfurt beerdigt. Frieda und Eduard Vogel, letzterer als waschechter Münsterer 1887 geboren, wurden deportiert und beide schließlich im KZ Auschwitz ermordet. Im Ersten Weltkrieg hatte Eduard Vogel für sein Land gekämpft und danach eine beliebte Rindsmetzgerei betrieben. Laden und Wohnung der Vogels sollen am 10. November 1938 von der SA verwüstet worden sein. Nachbarn berichteten, die 90-jährige Elka Schiff habe ob dieser Tat furchtbar geschrien. Die Emigration der Familie nach Chile scheiterte; die Spur der Töchter Erna und Ilse verlor sich nach 1942. Ilse Vogel hätte am 7. Mai 2024 ihren 100. Geburtstag gefeiert.

(Text: jedö)