Ein Femizid bezeichnet die bewusste Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts. 360 Mal gelang dies männlichen Tätern laut des unlängst vom Bundeskriminalamt (BKA) veröffentlichten Bundeslagebilds im vergangenen Jahr, in Offenbach gab es im Mai dieses Jahres einen Fall und in Mühlheim im September einen weiteren. In beiden Fällen tötete der (Ex-)Partner die Frau, sowohl der jeweilige Polizeibericht als auch die meisten Medien sprachen in ihrer anschließenden Berichterstattung von einem „Mord“, von „Totschlag“, einer „Beziehungstat“ oder einem „Familiendrama“. Darüber, wie sehr Begrifflichkeiten die gesellschaftliche Wahrnehmung prägen und welche Rolle Medien dabei spielen, sprachen auf Einladung des Frauenbüros Laura Backes, Spiegel-Redakteurin und Autorin des Buches „Alle drei Tage“, Thomas Leipold, Pressestelle Polizeipräsidium Südosthessen, Pia Barth, Frauennotruf der pro familia Offenbach und Jochen Remmert, Frankfurter Allgemeine Zeitung. Die Moderation übernahm Luzia Rott, Referentin zur Umsetzung der Istanbul-Konvention in Offenbach.
„Frauen sterben, weil sie Frauen sind. Das passiert jeden Tag, weltweit und auch hier nimmt die Gewalt gegen Frauen zu“, erläuterte Dr. Inga Halwachs, Leiterin des Frauenbüros, bei der Eröffnung. „Der Lagebericht hat traurige Gewissheit geliefert, Frauen sind männlicher Gewalt in vielen Bereichen ihres Lebens und in verschiedenen Formen ausgesetzt. Digitale Beleidigungen und Beschimpfungen, Stalking, Vergewaltigungen und die Fälle häuslicher Gewalt nehmen zu, Femizide sind dann die Spitze des Eisbergs, werden aber nicht als solche benannt.“ Dass die Zahlen steigen liege aber auch an einem größeren Hellfeld, heißt, so Halwach weiter, eben dass sich inzwischen mehr Menschen zu einer Anzeige trauen.
Weil Gewalt meist im häuslichen Umfeld und oft in Partnerschaften passiert, werde dies häufig als „Beziehungstaten“ bezeichnet, wobei das strukturelle Problem, nämlich Frauenhass oder männliche Dominanz aus dem Blickfeld gerieten.
Männliche Dominanz und Frauenhass
Wie auch im Fall der 39-jährigen Stefanie K. aus Rostock, deren Fall Laura Backes in ihrem Buch nachzeichnet. Die Mutter von drei Kindern wurde am 1. März 2020 von ihrem Ex-Partner aus dem Fenster gestoßen und nach dem Fall aus dem dritten Stock noch mit einem Messer attackiert. Dass sie überlebte, hat sie einem Nachbarn zu verdanken, der den Täter von ihr fortriss. Ein Beckenbruch, eine auf Dauer beeinträchtigte rechte Hand, eine Narbe am Hals und sehr viel Angst sind ihr aus ihrer knapp einjährigen Beziehung mit dem Mann, Christian, geblieben. Der am Anfang der knapp ein Jahr dauernden Beziehung aufmerksam und großzügig, dann aber zunehmend kontrollierender und übergriffiger wurde. Anfangs entschuldigt sie dies mit Alkoholkonsum, redet sich ein, dass er nicht er selbst gewesen sei, trennt sich aber kurze Zeit darauf, „Im Guten“. Aber er lässt nicht von ihr ab. Einmal rufen Passanten die Polizei, es wird ein siebentägiges Näherungsverbot ausgesprochen, ein anderes Mal leuchtet er mit einem Handy durch alle Fenster in ihre Wohnung, abermals kommt die Polizei und eine Polizistin fragt, ob sie denn nicht wisse, wer das sei. Mehr sagt sie nicht. Erst später erfährt Stefanie K, dass Christian von einer seiner Ex-Freundinnen wegen Vergewaltigung angezeigt wurde, auch eine weitere Ex berichtet später von Gewaltattacken.
Für Pia Barth vom Frauennotruf ein geradezu klassischer Fall, auch, dass Stefanie K. das Verhalten anfangs noch zu erklären versucht. „Das ist schwer nachvollziehbar“, pflichtet Remmert bei, „die Verteidigung tut weh.“ Weil es aber um die Berichterstattung in den Medien gehen soll, hat Rott den Fall als ein Beispiel von Vielen gegoogelt: Von einem „Eifersuchtsprozess in Rostock“ war die Rede oder auch einem „Messermann“, der alles als Unglück darstellt. Schon die Begrifflichkeit des „Messermann“ sehen alle problematisch, weil sie lediglich Stereotype und Vorurteile bedient. Der Begriff „Femizid“ taucht nicht auf, berichtet Rott, aber auch nicht die einfachste Beschreibung der Tat, nämlich „Mann tötet Frau“, ergänzt Laura Backes, „oder Mann tötet Frau und Kinder, klar und einfach“, nicht.
Klare Sprache und mehr Daten
Neben dem Sagen was war, fehle auch die Präsenz des Themas in der täglichen Berichterstattung. Ohne lokalen Bezug tauchen Morde an Frauen nicht in den Medien auf, eine verlässliche Quelle für ihre Recherche sei die BILD-Zeitung gewesen, berichtet Backes. Andere Medien vermeiden die Berichterstattung, auch, erklärt ihr Kollege Remmert, um keinen Voyeurismus zu bedienen. Mit einem Abbinder unter Artikeln verschafft DER SPIEGEL immerhin den Fallzahlen eine stärkere Aufmerksamkeit und sensibilisiert damit für ein gesellschaftliches Problem, das bis zur Veröffentlichung jährlicher Statistiken wie dem Bundeslageberichte kaum Beachtung findet und somit in seiner Dimension nicht bewusst ist. In Italien und anderen Ländern werde über Femizide berichtet, während es hier keinen Umgang mit dem Thema gibt, konstatiert die Autorin. Dass die Berichterstattung respektvoll sein müsse und die Betroffenen ernst nehme, fordert Barth von den Journalisten und auch der Polizei. „Auch diese Menschen lesen die Zeitung und die Schlagzeilen und erleben je nach dem eine weitere Traumatisierung.“ Weiterhin fordert sie die Benennung der Fakten, Gewalt gehe meist von Männern aus, diese sei nicht passiv, daher brauche es einen entsprechenden Narrativ: „Ein Mann hat vergewaltigt, nicht eine Frau wurde vergewaltigt.“ Sichtbarer machen und sensibilisieren, das will auch Polizeioberkommissar Leipold für die Pressearbeit der Polizei mitnehmen: „Bereits die Überschriften geben schon die Lesart vor, das müssen wir das stärker berücksichtigen.“ Zumal, so Leipold weiter, die Polizei als Erste vor Ort sei und einen Eindruck des Geschehens habe. Allerdings brauche es meist noch Ermittlungsarbeit, nicht immer offenbare sich ein Fall in allen Einzelheiten. Zudem gelte es, etwaige Vorverurteilungen zu vermeiden, Neutralität sei daher oberstes Gebot. Trotzdem können schon kleine Veränderungen viel bewirken, FAZ-Redakteur Remmert möchte daher einen Infokasten wie im SPIEGEL in seiner Redaktion anregen: „Wir weisen auf Hilfsangebote hin, aber die reine Datensammlung fehlt. Das müssten wir erst von Fall zu Fall recherchieren und die bloßen Zahlen zeigen den Handlungsbedarf.“ Das meine nicht nur Hilfsangebote wie Antiaggressionstrainings für Männer, sondern ein Bewusstsein für die strukturelle Gewalt in der Gesellschaft zu schaffen – deren Opfer in der Regel Frauen und Mädchen sind.
(Text: PM Kreis Offenbach)
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… erschließt sich ihre Welt, indem sie viel Zeit in der Natur verbringt. Bei langen Fahrradtouren und schöne Wanderungen tankt sie Kraft. Lokale Themen sind ihre Welt. Sowohl in den Printprodukten als auch online informiert sie am liebsten über Polizeiberichte, Tiergeschichten und Umweltthemen. Absolute Lieblingsbeschäftigung in der Adventszeit: Plätzchen backen.
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