In einem sind sich alle einig: „Grundstücksabflussbeiwert“ ist ein ziemliches Wortungetüm. Aufgetaucht ist es in Münster in den vergangenen Wochen in Briefen der Gemeinde an alle Grundstücks-Eigentümer im Ortsgebiet. Anlass ist das Ansinnen der Kommune, die Gebühren für Niederschlagswasser, das in die öffentliche Kanalisation abgeleitet wird, neu zu berechnen, was zu genaueren und faireren Werten führen soll als in der bisherigen, zwei Jahrzehnte alten Kalkulation. Für die Art der Durchführung dieses Ansinnens erntet das Rathaus indes aus mehreren Gründen heftige Kritik. Die Unzufriedenheit vieler Eigentümer trug in der September-Sitzung der Gemeindevertretung maßgeblich zum Zuschauerrekord der bisherigen Wahlperiode bei. Rund 60 Bürger nahmen am Ende zumindest das Mitgefühl der Gemeindevertreter, ein Eingeständnis des Bürgermeisters und eine Fristverlängerung mit nach Hause.
Die modifizierte Berechnung der Gebühren fürs Niederschlagswasser auf Münsterer Grundstücken nach dem Beiwert-Verfahren hatte die Gemeindevertretung Anfang Juli selbst beschlossen. In der Folge soll auch die lokale Entwässerungssatzung geändert werden und in der neuen Fassung zum 1. Januar 2025 in Kraft treten. Inzwischen sind aber Vertreter aller Couleur mit dem Ablauf des Verfahrens unzufrieden. Dies mündete sowohl in einen CDU-Antrag als auch in einen gemeinsamen Änderungsantrag der Fraktionen von SPD, FDP und ALMA-Die Grünen, die trotz mehrerer fehlender Personen in der Sitzung noch eine 17:16-Stimmenmehrheit hatten.
Die Union hatte moniert, erst nach dem Beschluss vom Juli Kenntnis von einem Urteil des bayrischen Verwaltungsgerichtshofs erlangt zu haben, das die Art der Datenerhebung zumindest im südlichen Bundesland als rechtswidrig erklärt hatte. Denn um zu schauen, in welchem Maß auf Münsterer Grundstücken versiegelte Flächen existieren, die für die Berechnung der Niederschlagswasser-Gebühren zentral sind, waren Drohnen über die Gemarkung geflogen. „Deren Aufnahmen sind gestochen scharf, da sehen sie das Gras im Garten wachsen“, sagte CDU-Fraktionschef Thorsten Schrod. Das Gericht in Bayern hatte darin einen erheblichen Eingriff ins Persönlichkeitsrecht sowie einen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung festgestellt. Schrod war der Auffassung, Verwaltungschef Joachim Schledt (parteilos) hätte das Vorgehen nach dieser Kenntnis „sofort stoppen“ und die „Bürger entsprechend informieren“ müssen.
Schledt räumte ein, der Umgang mit dem Thema sei „kein Glanzstück“ der Münsterer Gemeindeverwaltung gewesen. Man wisse zwar noch nicht, wie das bayrische Urteil von hessischen Kommunen zu bewerten sei, gehe aber „konstruktiv“ mit der Sache um. „Drei, vier Bürger“ hätten bislang um Löschung der Aufnahmen gebeten; dem komme man nach. Allerdings habe man in diesen Fällen das Recht, „Bemessungstrupps auf die Grundstücke zu schicken“, um die neuen Gebührenbescheide zu erstellen.
Dass diese auf breiter Front wirklich präziser und korrekter ausfallen, bezweifeln jedoch seit Wochen etliche Eigentümer. Auffallend viele wohnen im Münsterer „Insel-Viertel“, ein vor elf Jahren fertiggestelltes Baugebiet nahe der Kulturhalle. Dort fürchten sie, bald fälschlich zu hohe Gebühren bezahlen zu müssen. So würden aus der Luft etwa Schottergärten als versiegelte Flächen bewertet, obwohl dort das Wasser in die Erde und nicht in den aus Steuergeld und Gebühren bezahlten Kanal (und später in die ebenfalls öffentlich finanzierte Kläranlage) fließe. Außerdem sind im Viertel Zisternen verbreitet, die das Wasser sammeln, anstatt es an den Kanal abzugeben.
Zudem ärgern sich Betroffene, weil man gegen das Ergebnis der amtlichen Ermittlung aktiv vorgehen müsse und die womöglich falschen Werte ohne Widerspruch als akzeptiert gälten. Den entsprechenden Korrekturbogen empfinden viele als zu komplex, und auch die eingerichtete Hotline leiste keine befriedigende Hilfestellung.
Von den Gemeindevertretern letztlich beschlossen wurden mehrere Punkte aus dem Änderungsantrag von SPD, FDP und ALMA-Die Grünen. So soll der Gemeindevorstand die rechtliche Relevanz des bayrischen Urteils für Münster mit dem hessischen Datenschutz-Beauftragten klären, alternative Methoden zur Datenerhebung prüfen und dazu in der nächsten Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses berichten. Anders als die CDU plädierten die drei Fraktionen zugleich für die unveränderte Weiterführung des Projekts und gegen einen Stopp. Zudem setzten sie eine verlängerte Rückgabe-Frist der versandten Fragebogen bis zum 31. Oktober (zuvor 30. September) durch.
(Text: jedö)
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