Offenbach: Koordinierungsstelle Istanbul-Konvention arbeitet für ein „Leben ohne Gewalt“

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Blick ins Auditorium, auf der Bühne die Wortkünstlerin Dominique Macri. (Foto: Marion Müller)

Seit 2018 ist das „Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ in Deutschland in Kraft. Bund, Länder und Kommunen sind seitdem zur Umsetzung verpflichtet. Der 81 Artikel umfassende völkerrechtliche Vertrag erkennt die Asymmetrie im Verhältnis der Geschlechter als Ursache von geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt an und umfasst vielfältige Maßnahmen in den Bereichen Prävention, Intervention und Strafverfolgung. Weil Männer und Frauen eben nicht gleich sind, vor allem, wenn es um Gewalt aufgrund des Geschlechts geht, sind Frauen und Mädchen weitaus öfter Opfer als Täter. In familiären Kontexten sind oft auch Kinder als Leidtragende involviert. Auch sie werden in der Istanbul-Konvention aufgegriffen.

“Goldstandard” für den Frauenrechtsschutz

Weil der völkerrechtliche Vertrag in Istanbul unterzeichnet wurde, ist dieser als „Istanbul-Konvention“ etabliert und setzte einen “Goldstandard” für den Frauenrechtsschutz, so die ehemalige stellvertretende Direktorin der UN-Frauen, Lakshmi Puri. 45 Länder Europas haben das Abkommen unterzeichnet, gesetzlich anerkannt wurde es in 38 Ländern, die seinerzeit gastgebende Türkei ist beispielsweise 2021 wieder ausgetreten, Bulgarien, die Tschechische Republik, Ungarn, Lettland, Litauen und Slowakei haben sie bislang nicht ratifiziert. In Deutschland ist man bereits mit der Umsetzung befasst. In einigen Ländern und Kommunen gibt es bereits Koordinierungsstellen und erste Aktionspläne, eine Koordinierungsstelle auf Bundesebene befindet sich im Aufbaut. Und dennoch sprechen die Zahlen und Fakten für sich, etwa wenn jeden Tag ein Mann hierzulande versucht, seine (Ex-) Partnerin umzubringen und dies sogar alle drei Tage gelingt (vgl. FAZ 23. April 2024). Dies ist sicher die extremste Form von Gewalt gegen Frauen, die viele Spielarten kennt, von körperlicher Gewalt, Vergewaltigung, weiblicher Beschneidung (FGM Female Genital Mutuation), aber auch Stalking, sexueller Belästigung digitale Formen und Zwangsheirat. All dies wird in der Istanbul-Konvention aufgegriffen. Was also braucht es, um alle Frauen, insbesondere auch die mit erschwerten Zugängen zum Hilfesystem, wie Frauen mit Behinderungen, Sprachbarrieren oder Obdachlose, und deren Kindern vor Gewalt zu schützen? Was gibt es bereits und an welchen Stellen könnte es Verbesserungen geben? Damit ein „Leben ohne Gewalt“ zumindest in Offenbach möglicher wird, hatte das Frauenbüro und die Fachstelle zur Umsetzung der Istanbul-Konvention Vertreterinnen und Vertreter aus Behörden, Ämtern, Vereinen, Initiativen, Polizei und Justiz am Mittwoch, 15. Mai, zum Kick-Off in den stadtraum im Rathaus-Pavillon eingeladen.

„Wir sind“, erklärte Oberbürgermeister Dr. Felix Schwenke, mit Blick in die Runde und die 2022 vom Frauenbüro vorgelegte Bestands- und Bedarfsanalyse, „schon ganz gut aufgestellt und es ist bereits viel in Bewegung gekommen: Seit Oktober hat die Koordinierungsstelle Istanbul-Konvention mit Luzia Rott ein Gesicht und im April tagte erstmals der Beirat zur Begleitung der Umsetzung der Istanbul-Konvention, dessen Vorsitz ich gerne übernommen habe. Denn es ist meine feste Überzeugung, dass man Frauen vor Gewalterfahrungen schützen muss.“ Vor allem die Einrichtung und Besetzung der „IK-Stelle“ (Koordinierungsstelle Istanbul-Konvention) werde helfen, um der Komplexität der Aufgabe gerecht zu werden, hob die Leiterin des Frauenbüros, Dr. Inga Halwachs, hervor: „Offenbach hat ein sehr gutes Hilfesystem, jetzt geht es darum, Schnittstellen zu verbessern und multidisziplinär zielgerichteter zu arbeiten.“ Erklärtes Ziel: Ein Aktionsplan für ein Leben ohne Gewalt in Offenbach.

Istanbul-Konvention mit Leben füllen

Dieser soll in weiteren Dialogforen entstehen, die auf den Ergebnissen dieses ersten Treffens aufbaue, erläuterte Rott. Dafür hat die Sozialpädagogin einen ambitionierten Zeitplan aufgestellt, bis Herbst 2025 möchte sie diesen mit allen Beteiligten erstellt haben und in die erforderlichen Gremien einbringen. Der bereits gegründete Beirat, besetzt mit Frauenbüro, städtischem Sozialamt, Jobcenter, Jugendamt, Eigenbetrieb Kindertagesstätten Offenbach (EKO), Schulamt, Ausländeramt, Amtsgericht, kommunalem Jobcenter MainArbeit, Polizeipräsidium Südosthessen, der städtischen Integrationsbeauftragten sowie dem Trägerverein des städtischen Frauen- und Kinderhauses Frauen helfen Frauen e.V. und der pro familia e.V. soll dann bei der Umsetzung helfen.

„Die Istanbul-Konvention gibt uns den Rahmen, aber es liegt an uns, diesen mit Leben zu füllen. Das Kick-Off in Offenbach markiert den Beginn eines gemeinsamen Weges, auf dem wir übergreifend zusammenarbeiten, um effektive und passgenaue Maßnahmen zum Schutz von allen Offenbacher Frauen und Mädchen vor Gewalt zu entwickeln und umzusetzen. Wir brauchen ein starkes und breit aufgestelltes Netzwerk, eine Gesamtstrategie für Offenbach und eine gemeinsame Haltung, dass wir alle als Stadt Verantwortung für die Umsetzung der Istanbul-Konvention tragen um echte Veränderungen zu bewirken,“ so Luzia Rott, Fachreferentin für die Umsetzung der Istanbul-Konvention.

Gewaltfreies Leben ermöglichen

Denn trotz guter Strukturen, liegt, so das Ergebnis der Workshops, noch vieles im Argen: So finden Frauen mit Behinderung oder Migrationshintergrund oft nur schwer Zugang zum Hilfesystem, weil sie an sprachlichen oder baulichen Barrieren scheitern. Hier fehlt es an sprachlosen Zugängen in Form von einfachen Piktogrammen oder sind bereits vorhandene Codes schlicht nicht bekannt. Auch ist der Hilferuf per Handzeichen, bei dem die Hand gehoben und der Daumen dann von vier Fingern umfasst wird, vielen nicht bekannt. Gleiches gilt für die Teststeifen, mit denen sich Getränke auf K.O.-Tropfen testen lassen, auch hier braucht es mehr Aufmerksamkeit. Zusätzlich zu diesen Herausforderungen ist auch das weit verbreitete Phänomen des Catcallings eine alltägliche Realität für Frauen und Mädchen, wenn sie sich im öffentlichen Raum in Offenbach bewegen. Verbale Übergriffe, oft in Form von sexuell anzüglichen Sprüchen oder Gesten, tragen laut Rott zur Normalisierung von Gewalt gegen Frauen bei und nehmen diesen die Freiheit, sich unbeschwert zu bewegen.

Dass die eigenen vier Wände nicht immer Schutz vor Gewalt bieten, erfahren etliche Frauen leidvoll am eigenen Körper. Wenn häusliche Gewalt bedrohlich eskaliert und nur noch der Weg ins Frauenhaus bleibt, müssen die betroffenen Frauen und Kindern häufig mit allen vertrauten Strukturen brechen und alles zurücklassen. Denn die bürokratischen Hürden zur akuten Versorgung sind hoch und es fehlt allgemein an Kita-Plätzen. Dass sich Sorgerechtsverfahren im Kontext häuslicher Gewalt lange hinziehen, ist hingegen kein Offenbach spezifisches Problem. Hier muss unbedingt nachjustiert werden, indem auch Juristinnen und Juristen angemessen ausgebildet und sensibilisiert werden. Darüber hinaus, so die einhellige Meinung der Anwesenden, müsse auch die Täterberatung ausgebaut werden.

Damit Kinder, die Gewalt in der Familie miterleben oder selbst von Gewalt betroffen sind, von den ihnen zur Verfügung stehenden Hilfsmöglichkeiten auch erfahren, müssen Betreuerinnen und Betreuer sowie Lehrkräfte regelmäßig geschult werden. Dann, so Rott, wüsste auch jedes Kind, dass das, was es zuhause erlebt, nicht richtig ist und dass es Rechte hat.

Bessere Beratungs- und Hilfsangebote, Schulungen und Weiterbildungen für Fachkräfte in sozialen Einrichtungen, Aufklärung und Awareness sowie die Berücksichtigung von Sprach- und sonstigen Barrieren: Die Arbeit am Aktionsplan für ein gewaltfreies Leben in Offenbach hat begonnen.

„So viele Impulse, so viele starke Ideen. Holt die Menschen dort ab, wo sie sowieso hingehen. Ich wünsche uns Kraft und Erfolg…Heute und morgen auf diesem wichtigen, diesem allerwichtigsten Weg“, fasste Lyrikerin und Poetry-Slammerin Dominique Macri, das Ergebnis zusammen. Die Psychologin hatte das Treffen als Zuhörerin begleitet und am Ende in Verse zusammengefasst, ein pdf findet sich auf der Seite der Koordinierungsstelle: www.offenbach.de/istanbul-konvention.

(Text: PM Stadt Offenbach)