Rödermark und Rothaha: Reichlich Rückenwind für die Klosterthese

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Im BIld (v.l.): Professor Dr. Egon Schallmayer, Aika Diesch, Hessens Landesarchäologe Professor Dr. Udo Recker und Bürgermeister Jörg Rotter. (Foto: Stadt Rödermark)

Vortragsabend mit der Archäologin Aika Diesch vor gut besetzten Kirchenbänken in St. Nazarius

Ja, wo stand es denn nun, das berühmte Kloster Rothaha? In Ober-Roden oder im Nachbarort Nieder-Roden? Neue Hinweise, Deutungen oder gar Belege, die erhellendes Licht in den alten heimatkundlichen Streitfall auf regionaler Ebene bringen, erhofften sich rund 150 Interessierte, die zu Wochenbeginn zur Vortragsveranstaltung mit der Archäologin Aika Diesch in die Pfarrkirche St. Nazarius gepilgert waren.

Und siehe da: All jene, deren lokalpatriotisches Herz für ein Stück Vorzeigegeschichte auf der heimischen Scholle schlägt, wurden nicht enttäuscht. Das Fazit der Wissenschaftlerin, auf einen ganz kurzen Nenner gebracht: Die Waage neigt sich eindeutig – auf die Seite von Ober-Roden.

Sieben Jahre lang hat sich die Altertumsforscherin intensiv und akribisch mit der Auswertung jener Fundstücke beschäftigt, die bei Grabungen auf dem Kirchhügel-Areal von St. Nazarius unter der Leitung von Professor Dr. Egon Schallmayer in den Jahren 1985 bis 1991 zutage gefördert wurden: Bruchstücke aus Holz und Keramik, Objekte aus Metall sowie menschliche Überreste. Die Analyse des Materials mündete in eine riesige, schriftlich dokumentierte Fakten-Sammlung. Sie umfasst vier Bände mit rund 2.000 Seiten und wiegt sieben Kilo.

An der Otto-Friedrich-Universität in Bamberg konnte Aika Diesch zu diesem gewaltigen Komplex eine Dissertation erstellen und einreichen. Von der Stadt Rödermark wurde sie mit einem Promotionsstipendium gefördert – und so hofft die 33-Jährige, dass ihre Arbeit nun bald akademisch gebührend gewürdigt wird, nämlich mit der Verleihung des angestrebten Doktortitels.

Großes Interesse an Thema

Ehe dieser finale Schritt erfolge, könne die Öffentlichkeit doch schon mal einen Blick auf die zentralen Erkenntnisse des Forschungsprojekts werfen. Denn das Interesse in Rödermark und über die Stadtgrenzen hinaus sei ganz sicher groß, schlussfolgerten Bürgermeister Jörg Rotter und seine Kolleginnen und Kollegen auf der Magistratsebene. So kam die Info-Veranstaltung im Gotteshaus der Ober-Röder Katholiken zustande – mit dem erhofft guten Zuspruch.

Rund 150 Gäste, die den Weg durch Wind und Wetter an einem Montagabend in die Kirche gefunden hätten: Das sei eine stattliche Zahl, freuten sich Rotter und der Leiter des städtischen Fachbereichs für Kultur, Heimat und Europa, Thomas Mörsdorf, bei dem die organisatorischen Fäden zusammengelaufen waren.

Nachdem Hessens Landesarchäologe, Professor Dr. Udo Recker, das Werk („Jahre der Mühen“) gelobt und dessen Publikation mit Hilfe von hessenARCHÄOLOGIE zugesagt hatte, erläuterte Aika Diesch rund eine Stunde lang, wie sie die unzähligen Puzzlestücke im Verlaufe ihrer Forschungsarbeiten immer wieder neu betrachtet, bewertet und schließlich zu einem Gesamtbild zusammengesetzt hat. Ein Bild, das den Aktionsradius unserer Vorfahren und deren Motive bei den Baumaßnahmen auf dem Kirchengelände aufschimmern lässt. Fliesendekore deuten, Ton- und Pfahlspuren unter die Lupe nehmen, die Herkunft einzelner Objekte eingrenzen und zuordnen… So ergaben sich Rückschlüsse auf Handlungsmuster vom frühen Mittelalter bis in die Neuzeit.

Mit Blick auf die Kirchengeschichte bestätigten sich bei Dieschs Erkundungen just jene chronologischen Abläufe und Annahmen, die Egon Schallmayer, Hessens ehemaliger Chef-Archäologe, bei den Grabungen in seinem Heimatort bereits vor Jahrzehnten formuliert hatte. Errichtung einer ersten Holzkirche im Zeitraum ab 500 nach Christus, gefolgt von einem Steinbau (im 8. oder 9. Jahrhundert), diversen Ergänzungen (Chor, Seitenschiff) im 14. und 16. Jahrhundert sowie dem Neubau der St. Nazarius-Kirche in den Jahren 1894 bis 1896, imposant-majestätisch im neugotischen Stil, so wie er noch heute prägend für das Erscheinungsbild des „Rodgaudoms“ ist… Diese zeitliche Reihung hat Bestand.

Und nicht nur sie, sondern auch Schallmayers These, dass das im Jahr 786 erstmals urkundlich erwähnte Kloster Rothaha mit seiner Kirche (Holzpfostengrundriss auf dem Hügel im Ortskern) in Ober-Roden zu verorten ist. Vergleiche mit ähnlichen Baumustern, beispielswiese beim Kloster Lorsch, deuteten in eben diese Richtung. Zudem gebe es keinerlei historische Belege, die plausibel begründet für einen Alternativ-Standort sprächen, betonte Diesch während der Präsentationsrunde – sehr zur Freude des Auditoriums.

Beeindruckende wissenschaftliche Leistung

Zu denjenigen, die zufrieden schmunzelten, zählte schließlich auch Schallmayer, der Dieschs Dissertation gemeinsam mit seinem Archäologiekollegen, Professor Dr. Ingolf Ericsson, betreut hat. Sein Resümee nach dem Vortrag: Aika Diesch habe eine beeindruckende wissenschaftliche Leistung erbracht und insbesondere im Hinblick auf regional-verknüpfte Forschungsansätze im südhessischen Raum neue Erkenntnisse formuliert und Maßstäbe gesetzt.

Jörg Rotter dankte allen beteiligten Institutionen, den Projekt-Unterstützern und natürlich der Protagonistin des Abends. Mit viel Herzblut und einem langen Atem habe Aika Diesch einen bedeutsamen Beitrag zur Erforschung der lokalen Geschichte geliefert. Auf diese Leistung, so der Tenor des Bürgermeisters, könne sich die Kommune bei künftigen Ausstellungen und Publikationen stützen.

Rotter betonte: „Mit den vorliegenden Forschungsergebnissen zeigt die Stadt Rödermark, dass Archäologie eben nicht zwangsläufig mit dem Etikett ‚Staubiges für den Keller‘ behaftet sein muss. Im Gegenteil: Allgemeinverständlich aufbereitet, als spannende Erzählung der Historie vor Ort mit einer Vielzahl von Objekten – just so, mit Präsentationsmöglichkeiten, die wir in Zukunft ausschöpfen wollen, ist das weite Feld gut und kompetent erschlossen worden.“

(Text: PM Stadt Rödermark)