Eppertshausener Kerbvadder packt auch das heißeste Eisen an

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Kerbvadder Jens Murmann hielt eine starke Rede. (Foto: jedö)

Auf den ersten Blick wunderte sich der Zuschauer am späten Samstagnachmittag beim Eppertshäuser Kerbumzug: Sollte der dieses Jahr nicht erneut ohne Wagen steigen? Und fuhr da nicht gerade jener Jubiläumsjahrgang, der zur Kirchweih vor zehn Jahren im Mittelpunkt stand, vorbei? Genaueres Hinsehen klärte den vermeintlichen Widerspruch auf: Die gut gelaunte Truppe radelte auf einer Planwagen vorbei – über etliche Pedale ausschließlich von Menschenkraft angetrieben. Tatsächlich nicht dabei waren motorisierter Fahrzeuge, bei denen die Haftungsfrage das diesmal organisatorisch noch federführende Kerbkomitee von einer Freigabe abgehalten hatte. Nächstes Jahr soll der Umzug unter der Regie des kürzlich gegründeten Kerbvereins wieder samt Wagen durch die Straßen ziehen – was am Wochenende nur eins der Themen in Eppertshausen war.

Manch anderes, was die Einwohner unterm Storchenwappen bewegt, griff Kerbvadder Jens Murmann auf – in einer sowohl sprachlich als auch inhaltlich sehr gelungenen Rede. Murmann hatte nach der Kerb 2019, bei der Katharina Schröder zum dritten und letzten Mal als Kerbmudder fungiert hatte, buchstäblich den Hut aufgesetzt. Übung im Vortragen hat er also schon, was auch die flüssig und richtig betonten Reime am Ende des ökumenischen Gottesdiensts im Zelt des Pfarrgartens der katholischen Gemeinde St. Sebastian unterstrichen.

Und Murmann scheute sich nicht, auch das heißeste Eisen anzupacken, das in Eppertshausen derzeit greifbar ist: die Verbannung des von vielen Gläubigen hoch geschätzten Pfarrers im Ruhestand, Harald Christian Röper. Wegen eines kirchlichen Ermittlungsverfahrens des Bistums Mainz, das gegen Röper läuft, untersagt das Bistum einem der bekanntesten und beliebtesten Eppertshäuser Bürger seit Februar den Aufenthalt in seinem Heimatort aufzuhalten. Aktuell wohnt er bei seinem Zwillingsbruder Friedrich Franz in Bingen. Kerbvadder Murmann nannte die Maßnahme des Bistums „eine Schande“. In Reimform samt lokalem Zungenschlag ergänzte er, die Kirche sei „vom letzte gude Geist verlasse – und zwar in jeder Altersklasse“. Dafür erntete er von den rund 200 Gottesdienst-Besuchern den längsten und lautesten Applaus.

Auch mit leichter verdaulicher Kost und örtlichen Anekdoten der vergangenen Monate wartete Jens Murmann auf. Bei einem Unfall zertrümmerte Instrumente taten dem Kerbvadder, der im Mandolinenorchester des Odenwaldklubs spielt, höchstpersönlich in der Seele weh. Komischer fand er da schon den überlisteten Pilzsammler, dessen Ertrag im Wald heimlich ausgetauscht wurde und der sich schließlich mit flüssigem Pils trösten musste. Auch den Bürgermeister schonte Murmann nicht: Der komme alljährlich in einer „peinlichen“ Robe zur Kerb, ähnele darin zu sehr dem Kerbvadder – was auch dem Rathaus-Chef nicht zustehe.

Anschließend machten sich die Eppertshäuser auf den Umzugsweg, der über Schul-, Albrecht-Dürer- und Beethovenstraße zur Bürgerhalle führte. Dort fand am Samstagabend die Kerbparty statt und am Sonntag ein Frühschoppen, bei dem sich der neue Kerbverein vorstellte. Ex-Kerbmudder Schröder, die die Vorsitzende ist, versuchte dabei, mit ihren Mitstreitern weitere Mitglieder zu gewinnen. „Je größer der Kerbverein ist, desto mehr können wir auf die Beine stellen“, sagte sie und meinte dies in personeller wie finanzieller Hinsicht.

Bei der Gründungsversammlung waren direkt 50 Mitglieder eingetreten, bis zur Kerb folgten eine weitere Handvoll. Am Wochenende dürften einige dazugekommen sein. Unter anderem die TÜV-Abnahme der Umzugswagen könnte man künftig stemmen, wenn der Verein eine gewisse Dimension erreiche, blickte Schröder voraus. Es ist eins der Ziele, die der Eppertshäuser Kerbverein für 2024 bereits definiert hat. Grundsätzlich ist der Zuspruch für die Tradition im Ort aktuell gut: 19 Kerbburschen und -Mädels brachten sich aus dem diesmal geadelten Schuljahrgang 2004/05 ein – gegenüber fünf jungen Männern vor zwei Wochen im doppelt so großen Münster.

(Text: PM jedö)