Heusenstamm: Die stille Stunde als vorbildliche Maßnahme

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Sedat Tekin (Mitte) hat in seinem inhabergeführten REWE die „Stille Stunden“ eingeführt. (Foto: BT)

Sedat Tekin setzt mit seinem REWE-Markt ein Zeichen für sensible Mitmenschen

Jeden Mittwoch zwischen 15 und 17 Uhr wird im REWE in Heusenstamm das Licht heruntergedimmt. Die Musik wird ausgeschaltet. Das Piepsen der Kassen auf ein Minimum gedreht und auf jegliche Durchsagen über Lautsprecher verzichtet. Die Mitarbeiter sind angehalten mit Gelassenheit und Ruhe ihre Aufgaben zu erfüllen.

Die Stille Stunde gibt es schon in Norwegen und Neuseeland. Sie ist für hypersensible Menschen entstanden. Für Mitmenschen, die ADHS oder eine Form von Autismus als Lebensherausforderung haben, kann der Gang zum Einkauf zur schweißtreibenden Aufgabe werden. Reizüberflutung durch grelles Licht und Geräusche werden jeweils individuell mit einem Faktor 10 wahrgenommen. Das lässt sich mit der Toleranz eines durchschnittlichen Menschen nicht vergleichen. So schwer der Alltag für diese besonders ausgestatteten Menschen sein kann, so sehr können aber auch ihre speziellen Fähigkeiten für manche Branchen sehr nützlich sein. Beispielsweise sieht ein Logistiker mit dem Asperger-Syndrom – eine Ausprägung innerhalb des Autismus-Spektrums – in Sekundenschnelle die Fehler in der Ordnung oder die doppelten Ablagestellen eines Produkts und kann mit seinen Vorschlägen Unternehmen optimieren. Er braucht aber auch Gewohnheiten und Rituale, um sich in seinem Umfeld gut einsetzen zu können.

Sedat Tekin hat in seinem inhabergeführten REWE diese „Stille Stunden“ nun eingeführt. Angesprochen worden war er von Mitgliedern des Offenbacher Behindertenbeirates. Sven Diederichs, der Betreuer von zwei autistischen Männern ist, war auf das Einkaufsproblem und die mögliche Lösung aufmerksam geworden. Rainer Marx vom Behindertenbeirat hatte bei vielen Supermarkt-Verantwortlichen angefragt, bis er auf Sedat Tekin traf. Tekin war sofort begeistert von dem Projekt und ließ auch seine Mitarbeiter durch Rainer Eckert vom Netzwerk „Arbeit & Autismus Rhein-Main“ auf die neue Situation vorbereiten.

„Die ersten beiden Mittwoche mit der ruhigen Einkaufssituation sind extrem gut verlaufen. Viele Menschen sind schon gezielt gekommen, um etwas mehr Ruhe und weniger Reize zu erleben. Die Aufmerksamkeit in den Medien war am Anfang sehr groß“, so Tekin. „Ich habe viele E-Mails, Briefe und andere Rückmeldungen von Menschen bekommen, die sich nach diesem Projekt in ihrer Region sehnen. Ich wollte zunächst nicht so gerne in das Schlaglicht der Medien mit meiner Entscheidung für die „Stille Stunde“. Aber die vielen Rückmeldungen haben mich dann doch bestärkt, dass es wichtig ist, ein Beispiel zu geben und zu hoffen, dass sich noch viele Unternehmer von der Idee begeistern lassen. Selbst der Betriebsrat der REWE-Zentrale hat sich den Start hier in Heusenstamm angeschaut. Ich hoffe, auch dort positive Impulse gesetzt zu haben. Mir persönlich gefällt die Vorstellung des integrativen Miteinanders – eben auch für Menschen mit besonderen Herausforderungen.“

(Text: BT)