WIESBADEN (PM) – Corona macht Geschlechterungleichheit deutlicher – Mehr wohnortnahe Entlastungsangebote für Frauen und Familien – Geburtshilfe: Land muss Koalitionsversprechen einhalten
„Das Wohlergehen der Familie, das Glück des Mannes, die Erziehung der Kinder und die Behaglichkeit des Haushaltes, das alles ist für sie Inhalt und Erfüllung ihres Lebens als Frau.”[1] Wie aus einer anderen Zeit liest sich dieser Werbeslogan der Firma Henkel aus den 1950er Jahren. Und auch wenn die letzten 70 Jahre die Gleichberechtigung vorangebracht, Frauen sich in vielen Bereichen emanzipiert haben, so ist das traditionelle Frauen-Rollenbild auch heute in deutschen Haushalten noch sehr präsent. Die Corona-Pandemie und die Lockdowns haben uns das sehr deutlich aufgezeigt. Mehre Studien aus dem vergangenen Jahr belegen: Frauen und Mütter sind in der Pandemie stärker belastet als vorher. Sie sind es, die häufiger ihre Arbeitszeit wegen der Kinderbetreuung reduzieren mussten als die Väter. Sie bewältigen den Hauptteil der Hausarbeit, des Homeschooling, der Kinderbetreuung.[2]
Corona-Kabinett: Welche Hilfe brauchen die Frauen konkret in der Pandemie?
Laut dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung liegt der Frauenanteil in den systemrelevanten Berufsgruppen bei knapp 75 Prozent. Sie sind Ärztinnen, Pflegerinnen, Erzieherinnen, Lehrerinnen, Kassiererinnen. Und trotzdem geraten sie bei der Priorisierung von Schutzmaterial und der Impfstrategie aus dem Blick. „Die derzeitige Krise belastet Frauen und gefährdet auch ihre physische wie auch psychische Gesundheit. Schließlich sind es Frauen, die den Hauptteil der Sorgearbeit und der zusätzlichen Herausforderungen wie Homeschooling oder Angehörigenpflege schultern. „Die Liga Hessen fordert die hessische Politik hier auf, die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern sicher zu stellen und die geschlechtsspezifischen Auswirkungen der Pandemie in ihren Beratungen und Entscheidungen im Corona-Kabinett systematisch in den Blick zu nehmen“ sagt Regina Freisberg, Vorsitzende des Liga-Arbeitskreises „Kinder, Jugend, Frauen und Familie“.
Wohnortnahe Entlastungsangebote für Alleinerziehende und junge Familien
Um Alleinerziehende und Familien bei der Bewältigung ihres Alltags mit den vielfältigen Herausforderungen und der Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu unterstützen, braucht es Entlastungsgebote, insbesondere direkt in Wohnortnähe der Hilfesuchenden. Die Liga Hessen unterstützt hier die Positionen des 15. Hessischen Sozialforums (26.01.2021): „Um besonders in ländlichen Regionen eine gesundheitliche Beratung und Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten, sollten die Kommunen eigene, d.h. kommunale medizinische Versorgungszentren aufbauen und sich zusätzlich für einen wohnortnahen Ausbau von Pflegestützpunkten und psychosozialen Beratungsstellen engagieren.“
Viele Eltern und überwiegend Alleinerziehende sind aufgrund der Doppel- und Mehrfachbelastungen erschöpft und gesundheitlich gefährdet. Der Arbeit von Mütter- und Familienzentren, Frauen- und Familiengesundheitszentren wie auch der Beratungsarbeit Müttergenesung kommt hier eine zentrale Bedeutung zu, deren finanzielle Absicherung insbesondere in Pandemiezeiten sichergestellt und deren Förderung perspektivisch ausgebaut werden muss. „Gerade diese Einrichtungen bilden mit Ihren niedrigschwelligen Angeboten vor Ort wichtige Bausteine in der lokalen Präventionskette, die zur Entlastung der Frauen und Familien notwendig sind”, so Freisberg weiter.
Geburtshilfe in Hessen – Land muss Vorhaben umsetzen
In ihrem Koalitionsvertrag nennt die schwarz-grüne Landesregierung viele erforderliche Maßnahmen im Bereich der Geburtshilfe, die sie umzusetzen plant. Hier ist von einer „Optimierung der wohnortnahen Versorgung mit Geburtshilfeeinrichtungen“ und einer „1:1“-Betreuung durch Hebammen die Rede. Die Realität spricht eine andere Sprache: Im Jahr 2000 gab es dem Statistischem Bundesamt zufolge 1.142 Fachabteilungen für Frauenheilkunde und Geburtshilfe. 2018 waren es nur noch 778. Wir fordern hier die Politik auf, die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umzusetzen. Der von Kai Klose in 2019 einberufene „Runde Tisch“ und ein Gutachten zur Situation der Hebammenversorgung in Hessen haben bislang keine nennenswerten Folgen oder Verbesserungen für werdende Eltern und Geburtshilfe hervorgebracht. Das Gutachten beschreibt lediglich die Missstände, die schon seit Jahren bekannt und von Betroffenen benannt werden. Immerhin: Hebammen sind nun auch in die zweite Impfgruppe aufgenommen worden, was aufgrund des engen Patient*innenkontaktes dringend nötig ist.
Medizinische Versorgung bei Schwangerschaftsabbruch
Für Frauen, die sich nach einer Schwangerschaftskonfliktberatung nicht für die Fortsetzung der Schwangerschaft entscheiden können, muss eine ausreichende medizinische Versorgung sichergestellt sein. Die Zahl der ambulanten hessischen Praxen und Kliniken, in denen Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden ist in den letzten Jahren zurückgegangen. Frauen müssen inzwischen lange Wege auf sich nehmen und haben zudem kaum noch eine Wahl was die Methode des Eingriffs angeht. Auch hier ist das Land in der Pflicht, eine wohnortnahe Versorgung sicherzustellen.
Nicht nur am kommenden Weltfrauentag sollten wir mehr darauf schauen, wie es den Frauen geht – ob im privaten Raum, im Arbeitsleben, in der Gesellschaft. Corona hat die Sicht auf die vielen Herausforderungen und auch Versäumnisse bei der Unterstützung der Frauen in unserem Land geschärft. Mit Blick auf die Zeit nach Corona sind Politik und Gesellschaft gleichermaßen gefordert, die Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen voranzutreiben: Für mehr Beteiligung, mehr Einflussmöglichkeiten, mehr Freiheiten, mehr zeitgemäße Rollenbilder.
[1] http://www.wirtschaftswundermuseum.de/frauenbild-50er-1.html
[2] Studie der Hans-Böckler-Stiftung: https://www.boeckler.de/de/context.htm?page=wsi/pressemitteilungen-2675-23628.htm
Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung „Eltern während der Corona-Krise“: https://www.bib.bund.de/Publikation/2020/pdf/Eltern-waehrend-der-Corona-Krise.pdf?__blob=publicationFile&v=7